Christian Lunghi

Osteopathie basiert auf dem Prinzip, dass die Struktur und die Funktion des Körpers eng miteinander verbunden sind und das Wohlbefinden einer Person auch einer adaptiven Kapazität in Bezug auf Stimuli aus der Umwelt bedarf. Tatsächlich ist es so, dass der Körper, sofern er gegenüber Stress exponiert ist, in einen Zustand allostatischer Anpassung gerät, was einer Vielzahl adaptiver und physiologischer Veränderungen, auch auf Ebene des Gewebes, entspricht. Dieser Mechanismus soll nun verbesserte Konditionen bereitstellen, um den neuen Umweltbedingungen und einhergehenden Herausforderungen entgegenzutreten. Nichtsdestotrotz bedeutet auch die allostatische Anpassung selbst eine gewisse Herausforderung für den Körper, die als allostatische Last definiert ist. So zeigt sich zu Zeiten chronischen oder wiederholten Stresses die physiologische Antwort weniger „elastisch“ und als nicht länger vollständig reversibel, so dass sich die einst adaptive Kapazität in kurzer Zeit, nach langer Exposition, schädlich auswirkt, was sowohl lokal als auch im gesamten Körper deletäre Folgen zu haben vermag. Die adaptive Antwort drückt sich durch die Arbeit eben der integrierten Systeme der Selbstregulierung aus, derer sich auch der Osteopath bedient, wenn er spezifische, investigative Modelle anwendet, um korrespondierende Aktivierungskräfte in seiner Behandlung zu beurteilen und diese anzuregen. Aus der Reflexion der obigen Prinzipien ergibt sich ein Konzept adaptiver Gesundheit; womit, in der Konsequenz, körperliche Beschwerden als Defizit dynamischer Interaktion innerhalb der adaptiven Systeme selbst und zwischen eben diesen verstanden werden. Erkenntlich wird dies nicht zuletzt aus der Änderung der Beziehung zwischen Struktur und Funktion, bevor die einzelnen Systeme Schaden nehmen. Daraus erwächst ein osteopathisch-salutogenetischer Ansatz, basierend auf den fünf, osteopathischen Modellen: eine traditionelle Medizin, die sich auf einer anthropologischen Basis entfaltet und in ihrer Arbeit zentriert ist um eine einzelne Person. Ziel der Behandlung ist die Interaktion mit der adaptiven biomechanischen, respiratorischen, zirkulatorischen, metabolischen und energetischen als auch biopsychosozialen Funktion. Jedes Modell basiert auf den Prinzipien der Anatomie, Physiologie Biochemie sowie Psychologie und bietet eine bestimmte Linse durch die sich der Patient interpretieren und behandeln lässt. Auf der einen Seite, ist es das Ziel der osteopathischen Behandlung, die natürlichen Mechanismen der körpereigenen Selbstheilungskräfte zu bahnen. Dies geschieht in der Annäherung an Areale, die sich in somatischer Dysfunktion befinden, z.B. solche Gebiete mit Gewebsalterationen, die möglicherweise normale neurale, vaskuläre und biomecheanische Mechanismen einschränken. Auf der anderen Seite, ist es für eine auf Gesundheit und Globalität ausgerichtete Perspektive, wie sie auch die Osteopathie ausmacht, von essentieller Bedeutung, dass sich Osteopathen nicht ausschließlich auf dysfunktionale Areale fokussieren und beschränken. Zu diesem Zweck wurden die praktischen Anwendungsgebiete salutogenetischer Konzepte und ganzheitlich-osteopathischer Prinzipien in fünf Modellen beschrieben, die auf die Beziehung zwischen Struktur und Funktion eingehen. Dies entspricht fünf physiologischen Modalitäten der adaptiven Reaktion eines jeden Individuums auf jedwede innere oder äußere Störgröße, um Gesundheit wiederherstellen und erhalten zu können.

 BIOMECHANISCHES MODELL.

Historisch ist es auf die Auswirkung posturaler Faktoren und die Fähigkeit des Patienten, Stress- und Krankheitsfaktoren zu kompensieren, ausgerichtet. Stress oder biomechanisches Ungleichgewicht beeinflussen die strukturelle, dynamische Funktion. Dies resultiert in einem gesteigerten Energieverbrauch, veränderter Propriozeption, posturaler Dysbalance, muskuloskeletalen Schmerzen, Veränderungen in der Gelenksstruktur, Einschränkungen der neuro-vaskulären Funktion und veränderten metabolischen Abläufen. Die multifaktorielle Natur der biomechanischen Adaptation leitet den Osteopathen zu einem globalen Ansatz, der auch die Evaluation der strukturellen und funktionellen Integration des in Bezug stehenden Areals berücksichtigt. Somit untersucht der Osteopath diese Beziehung, die auch die allostatische Last und Haltung des Einzelnen beeinflussen kann, immer unter Bedachtnahme der andauernden posturalen Reaktion konnektiver, faszialer Aspekte auf innerlich und äußerlich-belastende Stimuli.

NEUROLOGISCHES MODELL.

Der Körper ist ein System, das primär auf einem komplexen Zusammenspiel neuraler Strukturen basiert. Dies nutzt er, um multimodale, sensorische Information aufzunehmen und zu prozessieren, und integriert diese mit efferenten, neuromuskulären, neuroendokrinen und neurozirkulatorischen Kontrollsystemen. Diese Mechanismen basieren auf drei koexistierenden Subsystemen: dem autonomen, dem Schmerz lösenden und dem der dynamischen Stabilität. Diese integrierten Systeme erlauben komplexe Aktivitäten auf Reflex-Basis, die das empfindliche physiologische Gleichgewicht des Organismus reguliert. Diese Balance ist ein zentrales Ziel des osteopathischen Gutachtens und der anschließenden Behandlung. Die Linse des neurologischen Modells stellt sich als fundamentales Instrument des Osteopathen dar, der es sich zum Ziel setzt, die somatische Dysfunktion zu identifizieren und zu normalisieren. Dies geschieht, indem er die intrinsische Stärke des neuralen Netzwerkes anspricht und dort verweilt, bis sich, auch mit globalen Effekten, eine stabile Gesundheit wiedereinstellt. Das neurologische Modell ist vor allem auf Zustände mit chronischem und/oder akutem Schmerzerleben ausgerichtet. Auch periphere und zentrale Sensibilisierung lässt sich behandeln, indem auf einem muskuloskeletalen, viszeralen, autonomen-Reflex, emotionalen und neuro-bio-psychologischen Level nach der Ursache gesucht wird.

RESPIRATORISCH-ZIRKULATORISCHES MODELL.

Ein jeder Faktor, der den Gasaustausch an der Zelle und die arterielle Versorgung sowie venös-lymphatische, interstitielle Drainage stört, stellt eine Gefahr für die homöostatische Kapazität des Organismus dar. Das zwingende Equilibrium zwischen den Körperhöhlen wird durch die rhythmische Aktion des Zwerchfells moduliert und ist gänzlich von Vorrang. Dieses Modell ist von Relevanz für Gebiete, die durch Ödeme, Verstopfung und eingeschränkten Gasaustausch beeinträchtigt sind. Ziel des respiratorisch-zirkulatorischen Ansatzes ist es, Flüssigkeiten in ihrer Bewegungsfreiheit anzusprechen und Gewebeoxygenierung und respiratorische Mechanismen zu untersuchen.

METABOLISCH-ENERGETISCHES MODELL.

Das Anfangsstadium der Pathogenese einer organischen Erkrankung kann auf die Blockade der regulativen Aktivität der fundamentalen Substanz, die die Extrazellulärmatrix darstellt, zurückgeführt werden. Ziel dieses Ansatzes ist es, das basale Energielevel anzuheben. Dies geschieht durch die Evaluation der Beständigkeit innerhalb sowie zwischen den Systemen, die, sofern sie in Einklang durch die Extrazellulärmatirx vereint sind und so in einem Zustand von Resonanz ihrer eigenen elektromagnetischen Felder Bezug zueinander nehmen, resistent gegen lokale Produktion pathogener Energie sind. Die osteopathische Behandlung eines Patienten, die auf dem metabolisch-energetischen Modell beruht, fördert die Effizienz der eigenregulatorischen Aktivität, der Beschaffungssysteme, des Metabolismus sowie des Energie Austausches und der Lagerung. Dies geschieht über den konnektiven anatomischen Raum, in Bezugnahme auf die Organe und Drüsen, die das autonome Target, die Nährstoffe und Drainage im hohen Maße beeinflussen.

BIOPSYCHOSOZIALES MODELL

Dieses Modell analysiert die Art und Weise, in welcher eine solche Breite an Beziehungen die Gesundheit des Individuums beeinflussen kann, und in der Folge auch die Wahrnehmung von Schmerz, Krankheit und Beeinträchtigung verändert. Mit anderen Worten, die Beziehung zwischen der inneren und äußeren Umgebung rückt in den Vordergrund, und auch dem Heilungsprozess, der psychologischen Natur des Individuums und dessen sozialen Umfeld wird Nachdruck verliehen. Im biopsychosozialen Kontext bevorzugt der Osteopath die Anwendung interozeptiver Techniken, um eine biologische und neurologische Ereigniskaskade loszutreten, die den interozeptiven Prozess verändert. So ist der Teufelskreis ständigen, nieder-schwelligen, inflammatorischen Zustands zu durchbrechen. Dieses Modell beinhaltet auch die bewusste und entsprechende Benützung (verbal und non-verbal) der Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Auch die Rolle und Verantwortung des Patienten für den eigenen Heilungsprozess wird durch Information und Edukation auch der Angehörigen im Sinne eines gesunden Lebensstils, Ernährung und körperlicher Aktivität verdeutlicht.

Die fünf osteopathischen Modelle sind als archetypische Strategien für die Einschätzung und Intervention der Homöostase des Individuums und dessen Adaptationspotenzial gedacht. Jedes Einzelne betont einen bestimmten Aspekt der Funktion des gesamten Organismus. Dies zeigt zum Einen ihre konzeptionelle Kraft und ihr Einflussvermögen, gleichzeitig aber auch die jeweiligen Limitationen. Osteopathische Modelle sind als Schlüssel zum Eintritt in ein System gedacht, dienen aber auch als Leitstruktur in der Intervention im Sinne eines spezifischen therapeutischen Ziels. So werden bestimmte physiologische Reaktion stimuliert und die Effektivität der manipulativen Behandlung lässt sich steigern. Nichtsdestotrotz sind die Interaktion, die Integration und die Kombination multipler Modelle, selbst innerhalb der gleichen Sitzung, kaum zu vermeiden. Das ultimative Ziel bleibt somit die Wiederherstellung von Gesundheit, die Erhaltung dieser, sie gar zu stärken und somit Krankheit zu verhindern.

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Alle Informationen und Anmeldung unter: www.osteopathiekongress.de


 

Literatur:

Hruby R, Tozzi P, Lunghi C, Fusco G., 2017. The 5 osteopathic models: Rational, Application , Integration . From tradition to innovation for a centered person osteopathy. Handspring publishing. Pencaitland. In Press

Lunghi C, Baroni F, Alò M, (2017). Osteopathic clinical reasoning: salutogenic treatment and progressive individual approaches. Edra edizioni. Milano.

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