Am 10.5.2017 ist Tag des Schlaganfalls. Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Die Hauptursachen für diese Minderdurchblutung im Gehirn (ischämischer Schlaganfall), bzw. akute Hirnblutung (hämorrhagischer Schlaganfall) sind Blutgerinnsel oder Thrombosen, Gefäßverengung oder –risse. Hauptrisikofaktor ist Bluthochdruck. Durch einen gesunden Lebensstil kann das Risiko für einen Schlaganfall deutlich verringert werden. Dazu gehört u.a. Nikotinabstinenz, Vermeidung von Übergewicht, ausgewogene Ernährung sowie regelmäßige körperliche Bewegung. Im Jahr 2015 wurden über 360000 Menschen in Deutschland wegen zerebrovaskulärer Erkrankungen stationär behandelt1.
Immer wieder wird medienwirksam auch vor dem „Einrenken“ der Halswirbelsäule durch Orthopäden, Chiropraktiker oder Osteopathen gewarnt, da es durch den Hochgeschwindigkeitsimpuls zu einer Verletzung hirnversorgender Arterien kommen kann.
In dem Blogbeitrag „Schlaganfall nach HWS-Manipulation? Zervikale arterielle Dissektion: Überblick und Implikationen für die Praxis“ (siehe unten) stellten wir bereits eine Expertenmeinung zum Schlaganfallrisiko nach Manipulationstechniken an der Halswirbelsäule vor. Nach dem Ausschluss wichtiger Kontraindikationen bestünde ein tatsächliches Risiko für einen Insult nach Manipulation nur bei vorgeschädigten Gefäßen, so Autorin Lucy C. Thomas2. Vor einer HVLA (high velocity low amplitude)-Technik werden die darüber- und darunterliegenden Wirbelsäulenabschnitte verriegelt, und das eingeschränkte Segment so fein zur Mobilitätsgrenze hin eingestellt, dass nur noch ein sehr leichter Impuls mit einer sehr geringen Amplitude ausreicht, um gezielt und spezifisch segmental eine Blockade zu lösen. Daher wirken in der Regel keine hohen Kräfte, die eine gesunde Arterie beschädigen würden. Eine wahrscheinlichere Ursache für die seltene Folge eines Schlaganfalls ist, dass sich durch die Behandlung ein Embolus aus der Gefäßwand löst und im Hirn zu einer Ischämie führt.
In einem systematischen Review von Michael J. Haynes und Kollegen wurden 5 klinische Studien zum Thema Schlaganfall und Manipulation analysiert. Alle Studien zeigten deutliche Schwächen im Design (Bias, Confounder), so dass keine verlässliche Aussage zu einer starken oder fehlenden Assoziation zwischen HWS-Manipulation und zervikaler Arteriendissektion getroffen werden kann. Aufgrund dieser unsicheren Studienlage empfehlen die Autoren eine Aufklärung der Patienten, dass es durch Manipulationen an der Halswirbelsäule zu einer seltenen Form von Schlaganfällen kommen kann, die jedoch auch bei anderen Bewegungen des Nackens auftreten könnte. Eine präzise wissenschaftliche Risiko-Nutzen Analyse für die HWS-Manipulation fehle weiterhin, so Haynes und Kollegen. Dennoch bewerten die Wissenschaftler das Risiko einer Arteriendissektion als gering, sofern alle bekannten Risikofaktoren und Kontraindikationen vor der Behandlung beachtet werden. So ist bekannt, dass die Rotation in der Halswirbelsäule die Vertebralarterien stärker unter Stress setzt als andere Bewegungen wie die Lateralflexion. Das Risiko kann also durch die Vermeidung endgradiger Rotation des Kopfes verringert werden. Eine vorangegangene Dopplersonografie der Vertebralarterien wäre sehr hilfreich, lässt sich jedoch in der Praxis nicht standardmäßig durchführen. Daher sollte bei Unsicherheit auf Seiten des Patienten oder Therapeuten auf eine Manipulation verzichtet und auf andere Techniken zurückgegriffen werden, was jedoch einen therapeutischer Grundsatz darstellen sollte und ebenfalls kein Beweis für das Risiko einer Technik ist.
Zervikale arterielle Dissektion: Überblick und Implikationen für die Praxis
Referenz: Haynes MJ, Vincent K, Fischhoff C, Bremner AP, Lanlo O, Hankey GJ. Assessing the risk of stroke from neck manipulation: a systematic review. International Journal of Clinical Practice. 2012; 66(10): 940-947. doi:10.1111/j.1742-1241.2012.03004.x. Online verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3506737/ (accessed: 04.05.2017)
1 Krankenhausstatistik – Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern, Statistisches Bundesamt, ICD10: I60-I69 Zerebrovaskuläre Krankheiten, Zugriff über gbe-bund.de
2 Thomas LC. Cervical arterial dissection: An overview and implications for manipulative therapy practice. Man Ther. 2016 Feb;21:2-9. doi: 10.1016/j.math.2015.07.008. Epub 2015 Jul 29.