Ein Interview von Sabine Lotz für podologie (1-2/2019)
Osteopathen sind Heilkundige, die für ihre Arbeit keine Instrumente und Arzneien brauchen. Sie verlassen sich beim Diagnostizieren und Therapieren auf ihre bloßen Hände und das, was sie mit diesen ertasten und bewirken können. Damit überzeugen sie immer mehr Menschen: Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im vergangenen Sommer ergab, hat sich fast jeder fünfte Bundesbürger über 14 schon einmal osteopathischen Händen anvertraut, und vier von fünf Befragten waren mit der Behandlung sehr zufrieden oder zufrieden.
Derzeit arbeiten hierzulande etwa 10.000 Osteopathinnen und Osteopathien. Einer von ihnen ist Torsten Liem aus Hamburg. Er besitzt Masterabschlüsse in Osteopathie und Kinderosteopathie, leitet eine Osteopathie-Schule sowie eine Osteopathie-Lehrklinik, entwickelt seit vielen Jahren Studien- und Ausbildungsprogramme für angehende Osteopathen und hat über zehn Bücher zur Osteopathie publiziert. Im Interview mit podologie schildert er, worauf es bei der osteopathischen Heilweise ankommt.
Wie könnte man das Prinzip der Osteopathie in knappen Worten erklären?
Aus osteopathischer Sicht bleiben wir Menschen am ehesten gesund und fühlen uns am wohlsten, wenn unsere Gewebe uneingeschränkt funktionieren und unsere Körperflüssigkeiten ungehindert fließen können. Sich nur auf eine dieser Strukturen zu konzentrieren, wenn es gesundheitliche Probleme gibt, bringt nach osteopathischer Lehre nicht viel, denn wir Osteopathen sind überzeugt, dass im Organismus alles mit allem zusammenhängt. Das ist auch der Grund, warum wir stets ganze Beziehungsgefüge behandeln. Damit meine ich Verbindungen zwischen einzelnen Geweben, zwischen Geweben und ihrer Funktion sowie zwischen Geweben und Lebensumständen.
Befassen Sie sich dabei ausschließlich mit Muskeln und Gelenken?
Nein, auch wenn das immer noch viele Leute glauben. Die Osteopathie hat sich von Anfang an als ein ganzheitlicher Ansatz für die Behandlung verschiedenster funktioneller Störungen nicht nur des Bewegungsapparates verstanden. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Orthopädie und zur Physiotherapie sowie zu anderen manuellen Heilweisen. Allerdings ist es richtig, dass es in der Geschichte der Osteopathie immer wieder andere Schwerpunkte gab. Als der amerikanische Arzt Andrew
Taylor Still Ende des 19. Jahrhunderts das osteopathische Heilprinzip entwickelte, standen zunächst Infektionsleiden im Vordergrund. Es wurden vor allem Krankheiten wie Masern, Scharlach, Meningitis oder Lungenentzündung osteopathisch behandelt und nur in Ausnahmefällen auch mal Gelenkprobleme. In neuerer Zeit, bis vor zehn bis 20 Jahren etwa, suchten mehrheitlich Menschen mit Rückenproblemen und Gelenkschmerzen Hilfe beim Osteopathen. Aber seit sich herumgesprochen hat, dass die Osteopathie beispielsweise auch bei Verdauungsproblemen, Infektionen oder Migräne helfen kann, wenden sich Menschen mit den verschiedensten gesundheitlichen Sorgen an uns.
Stimmt es, dass die Hilfe eines Osteopathen vor allem darin besteht, mit den Händen im Körper Blockaden aufzuspüren und aufzulösen?
Bewegungseinschränkungen, sprich Blockaden, im Gewebe zu vermindern oder aufzulösen ist ein sehr wichtiger Aspekt unserer Arbeit. Genauso wichtig ist uns aber die so genannte Salutogenese. Wir wollen und können dazu beizutragen, die Gesundheit zu erhalten und zu fördern. Dabei kommt es uns vor allem darauf an, mit unseren Händen das normale Fließen und Funktionieren im Organismus zu unterstützen, indem wir zum Beispiel das freie Atmen fördern, den Flüssigkeitsfluss im Körper erleichtern, fasziale Spannungen ins Gleichgewicht bringen und die aufrechte Haltung verbessern.
Was ist mit psychischen Problemen? Kann die Osteopathie auch depressiven Menschen helfen?
Da Körper und Psyche untrennbar zusammengehören, kann sich die Osteopathie durchaus auch psychisch positiv auswirken. Deutlich wichtiger für die Behandlung einer Depression sind aber andere Methoden wie beispielsweise eine Psychotherapie, eventuell kombiniert mit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln wie Magnesium, oder Psychopharmaka. Allerdings kann die Osteopathie eine Psychotherapie unterstützend begleiten. So etwa auch die Behandlung von Menschen, die Hilfe brauchen, um mit ihren chronischen Schmerzen zurechtzukommen.
Wo stößt die Osteopathie an ihre Grenzen?
Die Osteopathie aktiviert die Selbstheilungskräfte des Organismus und hilft ihm, aus eigener Kraft gesund zu werden. Allerdings ist dies überall dort, wo Gewebe zerstört ist oder eine Funktion dauerhaft Schaden genommen hat, nicht mehr möglich. In solchen Fällen kann die Osteopathie aber immerhin kompensierend eingreifen, wie zum Beispiel beim dauerhaften Schielen. Auch wenn Osteopathie an dem Augenproblem nichts ändern kann, sie kann die häufig begleitenden Nackenprobleme lindern. Viele Menschen mit Schielsymptomatik leiden unter schmerzhaften Nackenverspannungen, weil sie unbewusst versuchen, durch eine bestimmte Kopfhaltung ihr Schielen auszugleichen.
Wie finden Patienten einen gut ausgebildeten Osteopathen?
Eine große Rolle spielt die Mundpropaganda, wenn zufriedene Patienten ihren Osteopathen weiterempfehlen. Immer mehr Patienten werden aber auch vom Arzt geschickt, und viele sind sogar selbst Ärzte. Wer sich auf eigene Faust einen Osteopathen suchen will, wird im Internet fündig, wo alle großen Osteopathieverbände eine eigene Website mit Infos und Therapeutenlisten betreiben. Zum Beispiel der Verband der Osteopathie-Schulen Deutschland.
Mit welchen Kosten muss man als Patient rechnen?
Das ist sehr unterschiedlich und hängt zum Beispiel davon ab, wie erfahren ein Osteopath ist, wo er arbeitet – ob in der Stadt oder auf dem Land – und mit welchem gesundheitlichen Problem man zu ihm kommt. Bei akuten Krankheitsbildern wie etwa einem Hexenschuss reichen oft zwei bis drei Termine, während bei einer fortgeschrittenen Arthrose im Knie über längere Zeit monatlich ein Termin nötig sein kann. Auch Länge und Kosten pro Behandlungseinheit variieren. Für 30, 60 oder auch 90 Minuten werden zwischen 70 und 180 Euro in Rechnung gestellt. Bei privat Krankenversicherten bezahlt das die Kasse in der Regel komplett. Immer mehr gesetzlich Versicherte bekommen einen Zuschuss, wenn sie eine anerkannte berufliche Qualifikation des Behandlers nachweisen.
Wie wird man Osteopath?
Osteopath ist keine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung, und die dafür nötigen Kenntnisse werden nicht an staatlichen Einrichtungen gelehrt. Private Ausbildungsinstitute gibt es dafür jede Menge, und an einigen – wie beispielsweise an der Osteopathie Schule Deutschland – kann man Osteopathie sogar bis zum Master studieren.